Mag dein „Inneres Kind“ Familienfeiern?
15.12.2021
Wir alle wollen die Weihnachtsfeiertage fröhlich und gelassen verbringen. Trotz dieses Vorsatzes kippt die Stimmung in der Familie erstaunlich oft. Das liegt auch an unseren Prägungen und Mustern. Aber davon müssen wir uns nicht dominieren lassen
Familie ist anstrengend. Nicht immer, aber ganz schön oft. Selbst diejenigen unter uns, die von sich sagen, dass sie mit Eltern, Geschwistern & Co. ziemlich d’accord sind, haben Punkte, an denen es regelmäßig hakt. Es gibt wohl keine Zeit im Jahr, in der wir das öfter zu spüren bekommen als die Adventszeit und während der Weihnachtsfeiertage: Wir treffen auf Geschwister, Eltern und manchmal auch die gesammelte Verwandtschaft. Und selbst, wenn wir uns auf diese Zusammentreffen wirklich freuen, sind sie manchmal weniger harmonisch, als wir sie uns vorstellen: Das familiäre Zusammensein wirkt oft wie ein Brennglas auf Konfliktherde, die wir seit unserer Kindheit mit uns herumtragen.
Mach dir bewusst: Unsere Wahrnehmung ist sehr subjektiv
Es werden alte Muster getriggert. Längst erwachsene Menschen fallen in ihre Kindheitsrollen zurück. Frühere Kränkungen kommen wieder hoch. „Mama fand ja schon immer, dass ich mehr aus mir machen könnte. Papa hat noch nie ernst genommen, was ich beruflich mache. Warum hören eigentlich alle nur meiner Schwester zu? Ändern die sich denn nie?“ Nein, tun sie vermutlich nicht, kann ich da nur sagen. Wer das Gefühl hat, von seiner Kindheit immer wieder eingeholt zu werden, ist klug beraten, bei sich selbst anzufangen. Es hilft bereits, wenn man sich bewusst macht, dass unsere Wahrnehmung wenig mit der Realität zu tun hat, sondern eine sehr subjektive, emotionale Angelegenheit ist.
Wir alle tragen unser Päckchen an Prägungen mit uns
Wir alle kommen mit einem unfertigen Gehirn auf die Welt, nur etwa 27 Prozent davon sind bei unserer Geburt ausgebildet. Die Art und Weise, wie unsere Eltern mit uns interagieren, formt weitere Verschaltungen und legt eine Mind Map an. Diese Landkarte unserer Wahrnehmung bestimmt unser Selbstwertgefühl, unser Urvertrauen. Menschen, die in den ersten Lebensjahren viel Stress aushalten mussten, bilden stattdessen eine Art Urmisstrauen aus. Sie halten sich selbst nicht für wertvoll. Sie fühlen sich anderen unterlegen, obwohl es dafür objektiv keinen Grund gibt.
Aber auch diejenigen unter uns, die eine schöne Kindheit hatten, tragen oft ihr Päckchen an Zweifeln mit sich. Kein Wunder! Es gibt keine perfekten Eltern und keine perfekte Erziehung. Schließlich bringen alle Eltern selbst bereits die eine oder andere Prägung mit und geben sie – egal, wie gut sie es meinen! – unbewusst an ihre Kinder weiter. „Ohne Fleiß kein Preis“ oder „Indianer kennt keinen Schmerz“ sind zum Beispiel Sprüche, die seit Generationen übermittelt werden. Wer solche „Streng-dich-an“- oder „Reiß-dich-zusammen“-Parolen oft genug hört, entwickelt die tiefe Überzeugung, nicht gut genug zu sein. Glaubenssätze wie „Ich genüge nicht!“ oder „Ich darf keine Schwäche zeigen!“ prägen seinen Selbstwert.
Überleg dir: Welche Werte passen wirklich zu dir?
So eine kindliche Prägung sitzt tief. Aber unser Gehirn kann zu jeder Zeit lernen. Meint: Wir können unsere Überzeugungen ändern, indem wir das Erlernte mit einem alternativen Programm überschreiben. Dazu muss man sich zunächst klarmachen, dass negative Glaubenssätze nichts über uns selbst aussagen. Sie spiegeln nur die Haltung unserer Eltern wider. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von Introjektion: Man hat eine fremde Anschauung verinnerlicht.
Diese Introjektion können wir von uns weisen. Bildlich gesehen können wir sie unseren Eltern zurückgeben, indem wir uns bewusst machen, welche Werte und Glaubenssätze wir selbst für sinnvoll halten. Was gehört denn meiner Ansicht nach zu meiner Persönlichkeit? Was passt denn zu meiner Realität? Diese Erkenntnis findet zunächst im Kopf statt. Um sie auch gefühlt zu verinnerlichen, müssen wir die gedankliche Umkehrhaltung einüben. „Ich muss mich nicht ständig überarbeiten, um wertvoll zu sein. Meinen Freunden, Kindern oder auch meiner Chefin genüge ich.“ Je öfter man seine neuen inneren Überzeugungen wiederholt, desto vertrauter werden sie einem.
Es hilft, sich innerlich auf bestimmte Szenen vorzubereiten
Hilfreich ist auch, sich vor schwierigen Situationen zu wappnen. Ich sage immer: Prävention ist die Mutter aller Schutzmaßnahmen. Die meisten von uns wissen, was sie emotional anstrengt. Es hilft, sich diese Szenen vorher auszumalen und dann aus der neutralen Beobachterperspektive zu betrachten. Es hilft, seinem Inneren Kind liebevoll zu erklären, dass es seine Wahrnehmung nicht auf eine vermeintliche Abwertung fokussieren soll. Dieses System von „Ertappen und Umschalten“ kann man dann auch in heiklen Momenten anwenden.
Bleibt die Frage, ob man mit seiner Familie über die schwierigen Prägungen reden sollte. Die meisten Eltern kämpfen ohnehin mit Schuldgefühlen, in der Erziehung nicht alles perfekt gemacht zu haben. Meiner Erfahrung nach funktioniert so ein klärendes Gespräch nur, wenn es bei den Eltern ein großes Maß an Offenheit und Reflexionswillen gibt – und wenn es einem selbst eher um Ursachenforschung als um Schuldzuweisungen geht. Dann allerdings kann so eine Aussprache unter Erwachsenen für das Innere Kind heilsam sein.